Sonntag, 25. März 2012

Paolo Giordano: Die Einsamkeit der Primzahlen

gelesen von: Anna (Heyne; Taschenbuch; 8,99 Euro; ausgeliehen)

"Die kalte Morgenluft. sie roch frisch und rein, kroch unter seine Jacke, und Mattia ließ es geschehen. Nicht weit entfernt erwarteten ihn eine Dusche, ein heißer Tee und ein Tag wie jeder andere, und das war alles, was er brauchte."

Inhalt:

Paolo Giordano findet unvergessliche Bilder und Gesten für die verschlungenen Wege, auf denen die Dramen der Kindheit in uns fortwirken. Alice und Mattia lernen sich auf dem Gymnasium kennen. Die Anziehungskraft zwischen beiden scheint unwiderstehlich. Alice ist der einzige Mensch, dem Mattia wenigstens einmal seinen Schmerz und seine Schuldgefühle zu offenbaren wagt. Doch mit den Jahren werden die Hindernisse, die Mattia und Alice einander unbewusst in den Weg legen, höher und höher.

In einer ebenso klaren wie poetisch-eindringlichen Sprache erzählt Paolo Giordano die Geschichte von Alice und Mattia, die wie Primzahlzwillinge nahe beieinander stehen und doch immer durch eine Winzigkeit getrennt bleiben. Komplexe Seelenzustände schildert er genau so, dass sie fassbar werden und uns tief berühren. Seine Prosa verwandelt auf magische Weise Schmerz in Trost.

Meine Meinung:

Für gewöhnlich gehöre ich zu der Sorte Lesern, die ein Buch nach dem Anderen lesen, sich Seite für Seite vorarbeiten und nach einem gelesenen Buch ein bis zwei Tage brauchen, um mit der Handlung gedanklich abzuschließen und sich auf einen neuen Roman einzulassen. Die ersten 70 Seiten von Die Einsamkeit der Primzahlen haben mich aber so deprimiert, dass ich gar nicht anders konnte, als das Buch zur Seite zu legen und ein anderes anzufangen. Am Ende meiner Prüfungszeit hatte ich dann wieder die entsprechenden Nerven, um mich mit Mattias und Alice' Geschichte auseinanderzusetzen.

Die beiden Protagonisten erleben jeweils in ihrer Kindheit ein lebensveränderndes Drama, das ihre Psyche bis hin ins Erwachsenenalter stark belastet und sie zu Einzelgängern und Außenseitern macht. Sowohl Alice als auch Mattia verwandeln ihre Schuldgefühle und Depressionen in Selbsthass und fügen sich jeweils auf ihre eigene Art und Weise Schmerzen zu. Dass sie einander treffen und lieben lernen, würde ich nicht unbedingt einen Glücksfall nennen, weil sie eigentlich kaum in der Lage sind, einander zu helfen. So zieht sich die Leidensgeschichte der Beiden über viele, viele Jahre hinweg und ich habe mich immer wieder gefragt, wieso das Umfeld der Beiden (Eltern, Lehrer, Ärzte) tatenlos dabei zusieht.

Paolo Giordanos Debüt besticht durch die beste Sprache, die ich jemals in einem Roman vorgefunden habe. Obwohl 80 Prozent der Handlung sehr dramatisch ist, schafft der Autor es mit leisen Worten das Innenleben seiner Charaktere so greifbar zu machen, dass man sich wohl oder übel in sie verlieben muss. Die Einsamkeit der Primzahlen ist also Pflicht für jede Leseratte, allerdings würde ich den Roman nur in Zeiten aufschlagen, in denen es einem so richtig gut geht.

Wertung:

**** von fünf Sternchen