Montag, 13. Februar 2012
Siegfried Lenz: Arnes Nachlaß
gelesen von: Anna (dtv; Taschenbuch; 8,90 Euro)
"Ach, Arne, wie sie erstarrten, verstummten, hinter deinem Rücken zu tuscheln begannen, als wir uns, dein Klassenlehrer voran, durch den belebten Korridor bewegten, auch wenn es nur die Jüngeren waren, die sich anstießen und kicherten: es schmerzte mich, und ich war nahe daran zwei am Genick zu packen und ihre Köpfe gegeneinanderzuschlagen."
Inhalt:
Hans hat die traurige Aufgabe, den bescheidenen Nachlaß von Arne Hellmer einzupacken - jenes außergewöhnlichen Jungen, mit der er zwei Jahre lang ein Zimmer teilte. Jedes Fundstück weckt Erinnerungen, und so erzählt er vor dem Hintergrund des Hamburger Hafens und seiner Werften nach und nach Arnes Geschichte. - In ruhigen, atmosphärisch dichten Bildern entwirft Siegfried Lenz das Psychogramm eines Jugendlichen, der das Unglück früh kennenlernt; eines Außenseiters, der verzweifelt nach Nähe und Geborgenheit sucht.
Meine Meinung:
Arnes Nachlaß hat in erster Linie das dringende Bedürfnis in mir geweckt, Germanistik zu studieren und Deutschlehrerin zu werden. Denn wie kann es sein, dass ich in 13 Jahren Deutschunterricht für mich absolut unnötige und uninteressante Romane à la Die Verwirrungen des Zögling Törleß lesen musste, mir aber dieses Buch, dass in vielerlei Hinsicht viele Jugendliche von heute und deren Probleme beschreibt, vorenthalten wurde?
Siegfried Lenz' Hauptfigur, Arne, ist ein stiller, in sich gekehrter Junge, der stark vom Selbstmord seiner Familie geprägt wurde. Als er in eine Pflegefamilie kommt und anfängt, eine neue Schule zu besuchen, treibt ihn sein verzweifeltes Streben nach Anerkennung und sein großes Bedürfnis nach Geborgenheit immer mehr in die Rolle eines Außenseiters. Er wird von den meisten anderen Jugendlichen in seinem Umfeld ignoriert, ausgeschlossen und verspottet und schließlich aufgrund seiner naiven Art ausgenutzt. Doch wie viele andere Jugendliche in einer ähnlichen Situation, sucht Arne die Schuld bei sich selbst und trifft schließlich eine schreckliche Entscheidung. Die Handlung wird in Rückblenden von Arnes Pflegebruder Hans erzählt, wodurch der Leser nicht nur Anteil an Arnes Schicksal, sondern auch an Hans' Trauer hat. Lenz war sicherlich kein Meister der poetischen Sprache, sodass Arnes Nachlaß auf fast gefühllose Weise, beinahe ohne ein einziges Stilmittel geschrieben ist, doch obwohl mich das während dem Lesen manchmal gestört hat, hatte es am Ende genau die erwünschte Wirkung: Arnes Nachlaß hinterlässt einen dicken Kloß im Hals und es dauert ein bisschen, bis man wieder aus der Trostlosigkeit des Romans aufgetaucht ist.
Wertung:
**** von fünf Sternchen